10.11.2014"Es ist nicht egal, was man macht"
Interview zum Thema Migräne mit Prof. Dr. med. Dr. phil. Stefan Evers, Chefarzt der Neurologie am Krankenhaus Lindenbrunn in Coppenbrügge und Kopfschmerzexperte Herr Professor Evers, ist es besser, Migräneschmerz mit Medikamenten zu überdecken, wenn er da ist, oder den Attacken vorzubeugen?
Das schließt sich gerade bei der Migräne nicht aus. Man nutzt beide Verfahren gleichzeitig. Das bedeutet: Man macht eine Attackenbehandlung, man will versuchen, dass die Migräne rasch und vollständig verschwindet, und man will mit anderen Maßnahmen versuchen, dass möglichst wenige Attacken auftreten. Das heißt: Beide – Akutbehandlung und vorbeugende Behandlung – gehören zusammen.
Kommt eine vorbeugende Behandlung für jeden infrage?
Die vorbeugende Behandlung der Migräne richtet sich in erster Linie nach der Häufigkeit der Attacken. Man muss offen sagen, dass es keine klaren wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt, wann es besser ist, Anfällen vorzubeugen und wann nicht. Es liegen aber Empfehlungen der Experten vor, und die Hauptempfehlung lautet, eine Migränevorbeugung zu machen, wenn man mehr als drei Attacken im Monat hat. Es gibt noch andere Situationen, in denen das Vorbeugen sinnvoll sein kann. Zum Beispiel gibt es Menschen, die zwar seltener Migräne haben, doch dafür dauert diese sehr lange. Andere Migränepatienten leiden gar nicht so sehr unter den Schmerzen, haben aber ausgeprägte Aurasymptome, das heißt neurologische Ausfallsymptome, die sie auch beeinträchtigen.
Was ist grundsätzlich zu den Nebenwirkungen dieser Medikamente zu sagen? Das sind ja zum Beispiel Betablocker oder auch zentral wirksame Pharmaka wie Antiepileptika.
Die Nebenwirkungen der Medikamente zur Migräneprophylaxe sind zum Teil erheblich. Das heißt: Es gibt Patienten, die die Medikamente nicht vertragen und absetzen, obwohl die Mittel wirksam sind. Prinzipiell sollte man aber erst mal festhalten, dass sämtliche Substanzen, die infrage kommen, nicht abhängig machen. Die Nebenwirkungen sind größtenteils auf der Ebene der Gewichtszunahme, der Müdigkeit und auch der kognitiven Beeinträchtigung zu suchen. Darunter verstehen wir, dass manche Patienten in ihrer Konzentrationsfähigkeit, ihrer Gedächtnisleistung und ihrer Aufmerksamkeit reduziert sind und dann unter Umständen das Medikament absetzen müssen.
Sie sprachen gerade schon die Aurasymptomatik an. Wie gut kann man ihr vorbeugen?
Die Aurasymptome kann man genauso vorbeugend behandeln wie die Schmerzsymptome. Das heißt, die medikamentöse Vorbeugung der Migräne funktioniert gegen die Aura. Die Akutmedikamente allerdings, die wir haben, helfen nur gegen die Schmerzen.
Man weiß, dass Patienten mit einer Migräne mit Aura auch ein leicht erhöhtes Schlaganfallrisiko aufweisen. Gibt es Daten darüber, ob eine Anfallsprophylaxe solchen schlimmen Komplikationen ebenfalls vorbeugen kann?
Zu der Frage gibt es leider bislang überhaupt keine seriösen Daten, obwohl das sehr wünschenswert wäre. Wir wissen, dass Menschen, die eine Migräne mit Aura haben, ein erhöhtes Schlaganfallrisiko besitzen. Es wäre natürlich gut zu wissen, dass das Vorbeugen gegen die Migräne auch dieses Schlaganfallrisiko reduziert. Aber ganz ehrlich: Wir wissen es bis heute noch nicht.
Studien zeigen immer wieder, dass der Therapieerfolg bei der Migräne stark von der positiven Erwartungshaltung des Patienten abhängt. Ist es also letztendlich egal, was man macht, solange man nur daran glaubt?
Es ist nicht egal, was man macht. Wenn wir sagen, eine Substanz ist wirksam, dann meinen wir damit immer, dass sie wirksamer ist als ein Placebo. Aber die Placeborate ist bei der Migräne besonders hoch. Man kann es am Beispiel der Prophylaxe deutlich machen: Den Effekt, dass man die Migräne wenigstens um die Hälfe reduziert, erreichen wir mit einem Placebo bei etwa 30 Prozent der Patienten. Mit einer gut wirksamen Substanz schafft man das bei ungefähr 65 Prozent. Es besteht also ein deutlicher Unterschied – aber mit einer hohen Placeborate.
Quelle:
Apotheken Umschau vom 01. November 2014
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Apotheken Umschau.